Faule Säcke

Erst stand er in jeder Zeitung, jetzt lag er in unserem Briefkasten. Der Brief, mit dem Renate Pieper in Hannover Lehrermangel bemängelt. „Gute Leute machen Schule" ist der Brief überschrieben. Nein, natürlich hat nicht jene Renate Pieper diesen Brief geschrieben, unsere beliebte Büffethilfe im hannoverschen Hauptbahnhof. Sondern unsere gleichnamige Kultusministerin hat ihm geschrieben.

Nein, die Ministerin hat den Brief nicht an Christine geschrieben, die schon seit 30 Jahren eine gute Frau ist, weil sie Schule macht. Renate Pieper hat an Friederike geschrieben, an sie und alle aktuellen Abiturientinnen in Uelzen und lädt ein, Lehrerin zu werden, auf Lehramt zu studieren, zu den Guten zu gehören, die Schule machen.

Was sage ich, nein, die Ministerin lädt nicht nur einfach ein: Sie bittet, sie beschwört geradezu, Lehrerin zu werden - es fehlen immerhin in den nächsten zehn Jahren 27 000 Stücker davon, gute Stücker, die Schule machen.

Es war einmal, da gab es andere Briefe aus diesem Haus, in dem jetzt die Schulrenate dramatisch um ihre Schülerversorgung piept. Diese Briefe standen in keiner Zeitung. Aus gutem Grund, bzw. aus schlechtem Grund. Denn da wurde das Gegenteil beklagt: Nicht zu wenig Lehrer, sondern zu viel. Die Lehrerschwemme schwemmte diejenigen Lehramtskandidaten mit atlantischer Wellenwucht weg, die nur mit 4 oder 3 Staatsexamen machten - schwemmten sie raus ins offene Meer der Ungewissheit und Arbeitslosigkeit.

Dasselbe Schwemme-Leiden erleidet auch unsere Landeskirche. Eben noch musste man werdende Diener Gottes bescheiden, dass sie sich bescheiden müssten. Leider keine Pfarrstelle unterhalb bestimmter Examensleistungen! Doch auch da nähert sich das Ende der Pastorenschwemme rasant: In Hamburg gelandete hannoversche Jungprediger (ohne Amt) versucht man zurück zu werben – für in fünf Jahren.

Pastoren wurden jedoch nie als „faule Säcke“ bezeichnet wie die armen LehrerInnen damals, als Gerhard noch nicht in Berlin, sondern in Hannover war. Gestern pfui heute hui! Aber verzeihen wir ihm. Basta! Dieses „Es war einmal" ist kurz her.

Heute beklagen wir zusammen mit Renate Pieper und unserem Lehrer-Landesvater und unserem Landesbischof statt der kürzlichen Schwemme das tiefe, tiefe Tal, in dem alles dunkel ist, weil das helle Licht einer Dienerin der Schule, einer Lehrerin, fehlt. Oder das professionelle Licht eines Gottesdieners.

Friederike überlegt: Soll sie auf Lehramt „machen"? Oder auf Pfarramt? Vermutlich kriegen jetzt auch wieder alle Ausbildungsseminarleiter und damit die Prüfer neue Briefe aus Hannover: Alle Mangelhaft" auf „Ausreichend" hoch zu stemmen. Eine schöne Zeit, in der jetzt alle Leut‘ gute Leut‘ sind, wenn sie Schule machen wollen.

Friederike will nicht. Sie will studieren, wie man Statistik macht. Demographie. Ein bisschen im Voraus rechnen können, wann auf Schwemmen Täler folgen. Denn Vorausplanen macht man da wohl nicht, im hannoverschen Landeskirchenamt oder Kultusministerium. Faule Säcke.

15. April 2001